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Covid-19 zeigt: Unternehmen mit nachhaltigen Lieferketten sind krisen­­fester

Arbeitnehmer*innen in Billiglohnländern sind von den Auswirkungen der Pandemie besonders hart betroffen. Durch die Umsetzung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht übernehmen Unternehmen nicht nur Verantwortung, sie profitieren auch von stabileren Lieferketten.

Ob Engpässe bei der Versorgung mit medizinischem Material, Lieferschwierigkeiten in der Elektroindustrie oder fehlende Erntehelfer*innen: Covid-19 macht deutlich, wie abhängig deutsche Unternehmen und Betriebe von reibungslosen Abläufen und internationalen Warenströmen sind. Denn in einer globalisierten Wirtschaft lassen sich die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie längst nicht mehr auf ein Land begrenzen.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Maßnahmen, die hierzulande zur Eindämmung des Virus ergriffen werden, betreffen auch Beschäftigte in den Produktionsländern. So führen Schließungen im deutschen Einzelhandel beispielsweise automatisch zu weniger Arbeit für Näher*innen in Bangladesch und der Produktionsstopp in der Automobilbranche hat Folgen für Minenarbeiter*innen, die in Afrika die notwendigen Rohstoffe abbauen.

Entwicklungsländer sind von der Krise besonders hart betroffen

Während die Bundesregierung hiesige Unternehmen und Beschäftigte mit milliardenschweren Hilfspaketen vor der Insolvenz oder dem Arbeitsplatzverlust retten will, gibt es diese Bemühungen am Anfang der Lieferkette oftmals nicht. Für die Schwellen- und Entwicklungsländer ist die gegenwärtige Krise deswegen besonders fatal. Denn dort trifft das Virus nicht nur auf Gesundheitssysteme, deren Kapazitäten schnell an ihre Grenzen kommen, sondern vor allem auch auf fehlende staatliche Sicherheitsnetze und einen unzureichenden Arbeitsrechtsschutz. Bereits jetzt gibt es viele Berichte über Massenentlassungen und willkürliche Fabrikschließungen. Manche Fabriken nutzen die Covid-19-Schließungen auch, um sich vor Konflikten mit Gewerkschaften zu schützen. Insbesondere die weit verbreitete Heimarbeit ist extrem von der konjunkturellen Situation abhängig. Bleiben Aufträge aus, fehlt es vielen Beschäftigten – meistens Frauen – an einer Existenzgrundlage. Dazu kommt eine mangelnde Gesundheitsvorsorge, sodass man befürchten muss, dass viele Infizierte weiterhin arbeiten.

Unternehmen tragen Verantwortung für ihre Lieferketten

Laut dem 2016 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) tragen deutsche Unternehmen nicht nur Verantwortung für ihre direkten Mitarbeitenden, sondern auch für die Beschäftigten in ihren globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten. In der gegenwärtigen Pandemie stellen diese Anforderungen Unternehmen zweifelsohne vor zusätzliche Herausforderungen. Schließlich müssen Betriebe parallel auch den veränderten Interessen von Kund*innen und Investoren gerecht werden. Dennoch ist es besonders in Krisenzeiten ratsam, sich ebenso mit Menschenrechtsverletzungen entlang der eigenen Wertschöpfungskette auseinanderzusetzen.

Fürsorgliche Unternehmen sind weniger störanfällig

Denn die unternehmerische Sorgfaltspflicht ist nicht nur ein moralisches Erfordernis; sie ist auch wirtschaftlich geboten. So sind Unternehmen, die Menschenrechte in ihren Lieferketten achten, wesentlich weniger störanfällig. Wenn zum Beispiel in Vietnam schätzungsweise 5.000 Beschäftigte eines Herstellers von Plüschtieren drei Tage lang ihre Arbeit niederlegen, weil sie befürchten, dass mehrere ihrer chinesischen Kollegen nach ihrer Rückkehr vom chinesischen Neujahrsfest nicht ordnungsgemäß unter Quarantäne gestellt werden, hat das auch mit fehlender Fürsorge und lückenhafter Kommunikation des Auftraggebers zu tun. Langfristige Partnerschaften und transparente, vertrauensvolle Beziehungen reduzieren das Risiko von Produktionsausfällen oder Streiks spürbar.

Unternehmen, die ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, haben deswegen nicht nur die Chance, sich auf Krisen wie die gegenwärtige Corona-Pandemie besser vorzubereiten als ihre Wettbewerber; sie können sie auch besser überstehen. Denn wenn die Aufträge nach den Geschäftsschließungen wieder hochgefahren werden sollen, sind Marken und Handel auf funktionsfähige Lieferketten und ihre Lieferanten dringend angewiesen.

Aktuelle Empfehlungen anhand der fünf Kernelemente

Doch was können Unternehmen in der gegenwärtigen Situation nun konkret tun? Wie können sie darauf hinwirken, dass die Gefahr möglicher Lieferengpässe möglichst klein gehalten wird? Und was sollte passieren, wenn Stornierungen unvermeidbar sind? Anhand der fünf Kernelemente des NAP lassen sich auch für die aktuelle Ausnahmesituation verschiedene Empfehlungen ableiten:

1. Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte

Damit bringen Unternehmen öffentlich zum Ausdruck, dass sie ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachkommen. Diese Erklärung sollte von der Unternehmensleitung verabschiedet und intern wie extern kommuniziert werden. Für die aktuelle konkrete Situation ergibt sich daraus der Anspruch, sich regelmäßig über das Ausmaß der Pandemie im jeweiligen Produktionsland, ihren Auswirkungen und den staatlichen Umgang mit der Situation zu informieren.

2. Einrichtung eines Verfahrens zur Ermittlung tatsächlicher und potenziell nachteiliger Auswirkungen auf Menschenrechte (Risikoanalyse)

Im Kern geht es um die Einrichtung eines Verfahrens, das potenziell nachteilige Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte ermittelt, verhütet oder mindert. Dafür ist insbesondere ein direkter Austausch mit den Geschäftspartner*innen in der Lieferkette unerlässlich. Diese Fragestellungen sind hierbei zentral: Wie geht das Zulieferunternehmen mit der Krisensituation um? Werden rechtliche Auflagen eingehalten und Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge getroffen? Wie ist beispielsweise der Umgang mit infizierten Arbeiter*innen? So lässt sich feststellen, ob es Bedarf für Unterstützung gibt.

3. Konkrete Maßnahmen zur Vorbeugung und Vermeidung nachteiliger Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit auf Menschenrechte (Abhilfe)

Basierend auf den Ergebnissen der Analyse können Maßnahmen identifiziert und in die Geschäftstätigkeit integriert werden. Hierzu kann beispielsweise gehören: spezialisierte Schulung bestimmter Beschäftigter im Unternehmen oder bei Lieferanten; Anpassung bestimmter Managementprozesse; Veränderungen in der Lieferkette; Beitritt zu Brancheninitiativen. Während der Corona-Krise bedeutet das: Verhalten Sie sich fair und bezahlen Sie bereits bestellte Ware, ebenso Ware, die derzeit produziert wird oder für die bereits Material eingekauft wurde. Bei Lieferschwierigkeiten empfiehlt es sich, Lagerkosten zu übernehmen. Darüber hinaus werden Ihre Zulieferer über jegliche Form der Unterstützung dankbar sein. Sollte das nicht möglich sein, treten Sie am besten in direkten Dialog mit Ihren Geschäftspartner*innen und suchen gemeinsam nach alternativen Lösungen. Klar ist, Auftragsstornierungen oder die Beendigung des Geschäftsverhältnisses haben stets auch Konsequenzen für die Lieferanten und dessen Arbeiter*innen.

4. Berichterstattung

Unternehmen sollten Informationen bereithalten und gegebenenfalls extern kommunizieren, um darzulegen, dass sie die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte kennen und diesen in geeigneter Weise begegnen. Gerade in unübersichtlichen Krisensituationen sind transparente Angaben und ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten elementar. Erkenntnisse, die Sie in dieser Ausnahmesituation sammeln, erweitern Ihre schriftlichen Informationen über Ihr Nachhaltigkeitsengagement um hilfreiche Facetten. So können Sie auch anderen Unternehmen Orientierung bieten, die sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sehen.

5. Beschwerdemechanismus

Zur frühzeitigen Identifikation von (tatsächlich oder potenziell) nachteiligen Auswirkungen sollten Unternehmen entweder selbst Beschwerdeverfahren einrichten oder sich aktiv an externen Verfahren beteiligen. Derzeit sind die Möglichkeiten des Monitorings sehr eingeschränkt, weil Audits nicht stattfinden können. Dabei ist gerade jetzt das Risiko für Arbeitsrechtsverletzungen durch einen fehlenden Infektionsschutz oder die Diskriminierung infizierter Mitarbeiter*innen besonders hoch. In dieser Situation sind Beschwerdemechanismen besonders wichtig: Sie ermöglichen es den Beschäftigen, sich bei Menschenrechtsverletzungen direkt an Sie zu wenden.