Europa

EU-Lieferkettengesetz

In einer globalisierten Wirtschaft braucht es eine europäische Strategie, um Menschenrechte und Umwelt in Liefer- und Wertschöpfungsketten wirksam zu schützen

Wir konsumieren Obst aus Afrika oder Südamerika, Schokolade von der Elfenbeinküste und Kaffee aus Brasilien. Wir tragen Kleidung, die in Asien gefertigt wird, unser Handy besteht aus Einzelteilen, die in der ganzen Welt hergestellt werden – und zwar von Menschen, die mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Rechte dieser Menschen, die Waren für den europäischen Markt produzieren, sind häufig nicht ausreichend geschützt: 1,4 Milliarden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten weltweit unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Zahl der Opfer von Zwangsarbeit und Sklaverei steigt signifikant, nach jüngsten Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labor Organisation, ILO) sind es nunmehr 28 Millionen Menschen. Ebenso werden weltweit immer mehr Kinder zur Arbeit gezwungen, weil der Lohn der Eltern nicht reicht - in den Goldminen von Burkina Faso, als Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch oder auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste. Durch die COVID-Pandemie hat sich die Situation weiter verschlechtert, sodass die ILO aktuell von rund 160 Millionen arbeitenden Kinder ausgeht. Die Hälfte von ihnen ist jünger als 12 Jahre.

Als Wertegemeinschaft und weltweit größter Binnenmarkt mit einem globalen BIP-Anteil von rund 15 Prozent und damit an Platz zwei des Welthandels direkt nach China, trägt die Europäische Union (EU) eine besondere Verantwortung, gegen diese Missstände vorzugehen. Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich und die Niederlande haben bereits nationale Sorgfaltspflichtengesetzte beschlossen, die EU hat bereits Teilbereiche reguliert (Konfliktmineralien, Holzmarkt, Nachhaltigkeitsberichterstattung) und auch international gibt es einen klaren Trend zur Verrechtlichung von Unternehmensverantwortung (u.a. Vereinte Nationen, Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada, Australien und Großbritannien). Auch vor diesem Hintergrund rückten die Anliegen von mehr globaler unternehmerischer Verantwortung, Rechtssicherheit und gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen im gemeinsamen EU-Binnenmarkt immer stärker in den Fokus. 

Deshalb hat die Europäische Kommission am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung vorgelegt. Am 14. Dezember 2023 ist eine vorläufige politische Einigung für die Richtlinie zwischen der EU-Ratspräsidentschaft und dem europäischen Parlament erreicht worden. Am 15. März 2024 stimmte die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU dafür. Am 19. März 2024 hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) die politische Einigung zur Richtlinie mit 20 Ja-Stimmen zu 4 Nein-Stimmen angenommen (keine Enthaltungen). Im nächsten Schritt muss noch das Plenum des Europäischen Parlaments zustimmen. Außerdem muss auch der Europäische Rat das Ergebnis noch formell bestätigen. 

Die EU Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD, EU-Lieferkettenrichtlinie oder EU-Lieferkettengesetz) enthält sowohl menschenrechtliche als auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie Vorgaben für einen Klimaplan. Ziel ist es, dass Unternehmen in der EU bestimmte Sorgfaltspflichten umsetzen, um negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte und Umwelt in ihren Aktivitätenketten innerhalb und außerhalb Europas zu vermeiden. 

Die Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen des Anwendungsbereichs künftig Risiken in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie mit Blick auf ihre Tochterunternehmen und ihre Geschäftspartner ermitteln, Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen und darüber berichten. Unternehmen müssen dabei in angemessener Weise sowohl die vorgelagerte (z. B. Rohstoffabbau, Herstellung) als auch in begrenztem Umfang die nachgelagerte Kette (z. B. Transport zum Endkunden) im Blick haben. Die CSDDD lehnt sich in wichtigen Punkten eng an das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) an. Es orientiert sich ebenfalls eng an den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und enthält klar ausformulierte Sorgfaltspflichten für Unternehmen, um die Menschenrechte und Umweltbelange in den Wertschöpfungsketten zu achten.

Die EU-Lieferkettengesetz im Überblick

Die wichtigsten Bestandteile der Richtlinie laut Entwurf der EU-Kommission sind:

Anwendungsbereich

Unternehmen sind ab 1.000 Mitarbeitenden und einem weltweiten Nettojahresumsatz von 450 Millionen Euro vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Auch Unternehmen aus Drittstaaten sind erfasst, wenn sie mehr als 450 Millionen Euro Umsatz pro Jahr in der EU erzielen. Kleine und mittlere Unternehmen fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

Sorgfaltspflichten

Unternehmen sollen menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Risiken in ihren Wertschöpfungsketten ermitteln, Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen und darüber berichten. Unternehmen sollen dabei nur das tun, was vor dem Hintergrund der Schwere des Risikos und ihrer individuellen Einflussmöglichkeiten angemessen ist. Die Annexe der Richtlinie beinhalten die international verpflichtenden Abkommen sowohl zu den international geschützten Menschenrechten als auch zu internationalen Umweltabkommen, aus denen konkrete Verhaltenspflichten für Unternehmen abgeleitet werden.

Reichweite der unternehmerischen Verantwortung

Umfasst sind Aktivitäten von Geschäftspartnern eines Unternehmens in der vorgelagerten Lieferkette, nämlich die Herstellung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen. Hierzu gehören insbesondere die Produktentwicklung, Rohstoffabbau, Beschaffung, Verarbeitung, Transport, Lieferung und Lagerung von Produkten oder Produktbestandteilen. Auch die mittelbaren Lieferanten werden in der vorgelagerten Lieferkette von der Regelung erfasst.

Zum anderen gehören zur Aktivitätskette auch einige Tätigkeiten der nachgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens. Erfasst sind Vertrieb, der Transport und Lagerung eines Produkts, wenn Geschäftspartner diese Aktivitäten für oder im Namen eines Unternehmens ausführen. Mittelbare Geschäftspartner sind hier nicht zu berücksichtigen.

Klimaschutz

Zur Bekämpfung des Klimawandels werden alle Unternehmen im Anwendungsbereich verpflichtet, einen Klimaplan zu erstellen, um die Unternehmensstrategie im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel auszurichten, zum Ziel der Klimaneutralität beizutragen und sich entsprechende Emissionsreduktionsziele zu setzen.

Durchsetzung

Vorgesehen ist die Kombination von behördlicher Kontrolle, einschließlich Bußgeldern und einer zivilrechtlichen Haftung. Die mitgliedsstaatlichen Behörden sind befugt, Ermittlungen anzustellen, Inspektionen durchzuführen, Anordnungen zu treffen und bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten Bußgelder zu verhängen. Als mögliches Bußgeld muss der nationale Gesetzgeber einen Höchstrahmen von 5% des Nettojahresumsatzes vorsehen, der anhand der Umstände des Einzelfalls anzuwenden ist.

Außerdem sieht die Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung vor, wie sie bereits nach geltendem Recht in Deutschland möglich ist. Neu ist, dass zukünftig bei transnationalen Sachverhalten (Schaden tritt beispielsweise in Bangladesch oder Pakistan ein), das Recht der EU-Mitgliedsstaaten statt wie bislang das Recht des Schadensortes im Ausland zur Anwendung kommt. Dadurch verbessert sich der Zugang zu zivilgerichtlichen Abhilfe für Betroffene und die Verfahren werden vereinfacht. Im Übrigen richtet sich die Haftung nach deutschem Recht. Das heißt insbesondere: Unternehmen haften nur für eigenes Verschulden und nur für vorhersehbare und vermeidbare Schäden. Unternehmen, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemüht haben, haften nicht. Darüber hinaus enthält die Richtlinie im Bereich des Zugangs zum Recht weitere schützende Elemente, die bereits im LkSG oder im EU-Recht üblich und in nationales Recht umgesetzt sind (Prozessstandschaft, Verjährung, Zugang zu Informationen).

Im Richtlinientext sind zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen, Erleichterungen und Effizienzsteigerungen für Unternehmen und speziell für indirekt betroffene KMU vorgesehen.

Die Annexe der Richtlinie beinhalten die international verpflichtenden Abkommen sowohl zu den international geschützten Menschenrechten als auch zu internationalen Umweltabkommen, aus denen konkrete Verhaltenspflichten für Unternehmen abgeleitet werden.

Inkrafttreten

Nach Inkrafttreten (20 Tage nach Veröffentlichung des Rechtstextes) haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in ihr Recht zu überführen. Danach treten die nationalen Umsetzungsgesetze gestaffelt nach Unternehmensgröße in Kraft, bis fünf Jahre nach Verabschiedung der o.g. Anwendungsbereich gilt. Das deutsche Lieferkettengesetz muss an die Richtlinie angepasst werden, darf aber in einzelnen Punkten auch über diese hinausgehen.

Die schrittweise Umsetzung der Richtlinie ist wie folgt vorgesehen:

  • 2027 (drei Jahre nach Inkrafttreten) ist die Richtlinie anzuwenden für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz
  • 2028 (vier Jahre nach Inkrafttreten) verringern sich die Schwellenwerte auf 3.000 Mitarbeiter und mehr als 900 Millionen Euro Umsatz
  • 2029 (fünf Jahre nach Inkrafttreten) werden dann im letzten Schritt Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern Mehr als 450 Millionen Euro Umsatz erfasst.

Zum Werdegang

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 als Basis

Als Wertegemeinschaft und weltweit größter Binnenmarkt mit einem Anteil von 15 Prozent aller globalen Importe trägt die EU eine besondere Verantwortung, gegen diese Missstände vorzugehen. Das BMAS hat am 6. und 7. Oktober 2020 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur virtuellen Konferenz "Globale Lieferketten – Globale Verantwortung" eingeladen. Zu den Gästen gehörten die EU-Kommissare Nicolas Schmit und Didier Reynders, der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation Guy Ryder, die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, der ehemalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, die portugiesische Arbeitsministerin Mendes Godinho und der slowenische Arbeitsminister Cigler Kralj sowie Vertreterinnen und Vertreter*innen der europäischen Sozialpartner, Zivilgesellschaft und Unternehmen. In Paneldiskussionen und Workshops wurde diskutiert, wie ein EU-Aktionsplan "Menschenrechte und gute Arbeit in globalen Lieferketten" gestaltet werden kann, um die Unternehmensverantwortung EU-weit zu stärken.

Das Ergebnispapier der Konferenz stellte fünf Handlungsfelder in den Mittelpunkt:

  • Verbindliche Sorgfaltspflicht
  • Europäische Branchendialoge
  • EU-Qualitätskriterien für Nationale Aktionspläne (NAPs)
  • Beseitigung von Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Menschenhandel
  • Zugang zu Abhilfe

Klares Bekenntnis im Rat für "Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz"

Im Dezember 2020 sprachen sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten im Rat für "Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz" unter Vorsitz von Bundesarbeitsminister Heil für ein europäisches Lieferkettengesetz aus. Damit hatten sich erstmals alle Mitgliedstaaten zu einer EU-weiten verbindlichen Regelung bekannt.