Die erste Säule der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unterstreicht, dass die menschenrechtliche Schutzpflicht beim Staat liegt. Der Staat hat die völkerrechtliche Verpflichtung, die Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten.
Staaten müssen den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gewähren, die in ihrem Hoheitsgebiet und/oder ihrer Jurisdiktion von Dritten, einschließlich Wirtschaftsunternehmen, verübt werden. Dies setzt voraus, dass sie durch wirksame Politiken, Gesetzgebung, sonstige Regelungen und gerichtliche Entscheidungsverfahren geeignete Maßnahmen treffen, um solche Verletzungen zu verhüten, zu untersuchen, zu ahnden und wiedergutzumachen.
In der Umsetzung bedeutet das: Es liegt in der Pflicht von Staaten, Maßnahmen zu ergreifen, damit Unternehmen die Menschenrechte achten. Bereits begangene Verstöße gilt es aufzuklären, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und Wiedergutmachung für die Opfer zu leisten. Neben der staatlichen Schutzpflicht heben die Leitprinzipien auch explizit eine eigenständige Verantwortung privater Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte hervor. Wie diese ausgestaltet sein soll und wie die Bundesregierung Unternehmen dabei unterstützt, ihre Verantwortung wahrzunehmen, ist wesentlicher Bestandteil des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP).
Die Basis des Menschenrechtsschutzes: rechtliche Grundlagen
Der Grundpfeiler für den Schutz der Menschenrechte in Deutschland ist das Grundgesetz. Darin bekennt sich der Staat zu "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft" (Artikel 1, Absatz 2). Aufbauend auf diesem Fundament hat Deutschland zahlreiche internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert und in nationales Recht überführt. Dazu zählen beispielsweise der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die meisten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, wichtige europäische Verträge zum Menschenrechtsschutz wie die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder die Europäische Sozialcharta. Auch als Mitglied des Europarats und der Vereinten Nationen bindet sich Deutschland in das internationale Menschenrechtssystem ein.
Mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte setzt die Bundesregierung die VN-Leitprinzipien seit 2016 um. Entsprechend den Empfehlungen der Vereinten Nationen und angesichts der wesentlichen Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene in den vergangenen Jahren wird der NAP derzeit überarbeitet.
Der im August 2021 veröffentlichte NAP-Statusbericht beschreibt das bisher Erreichte. Dazu gehört ein verbesserter Schutz vor Ausbeutung und Menschenhandel im Inland, Förderung von Transparenz in der Unternehmensberichterstattung oder die Verbesserung der Gleichberechtigung im Wirtschaftskontext. Ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring auf methodischer Grundlage während der NAP-Umsetzung brachte zutage, dass die Umsetzung der NAP-Empfehlungen durch Wirtschaftsunternehmen noch Defizite aufweist. Damit legte der NAP die Grundlage für die Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das ab 2023 für Unternehmen ab einer bestimmten Größe menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verpflichtend regelt.
Öffentliches Beschaffungswesen
Bund, Länder und Kommunen geben über 350 Milliarden Euro pro Jahr für Produkte und externe Dienstleistungen aus. Sie unterliegen daher einer besonderen Verantwortung, ihrer staatlichen Schutzpflicht nachzukommen und sicherzustellen, dass mit öffentlichen Mitteln keine negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte verursacht oder begünstigt werden. Durch die Stärkung von Nachhaltigkeitsaspekten in der öffentlichen Beschaffung nimmt die öffentliche Hand nicht nur ihre Funktion als Vorbild wahr, sondern kann auch als wichtiger Hebel für die Steigerung des Angebots nachhaltiger Produkte wirken. Auch in der Agenda 2030 wird nachhaltige öffentliche Beschaffung explizit als Instrument zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung genannt.
Hilfestellung für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen
Mit der Einrichtung unterschiedlicher Institutionen und Einrichtungen unterstützt die Bundesregierung sowohl öffentliche Auftraggeber als auch -nehmer, den Anteil und die Qualität nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen im öffentlichen Beschaffungswesen zu erhöhen. Mit dem Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit 2010 und der Weiterentwicklung 2015 und 2021 wurde die "Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern" (KNB) .als die zentrale Informations- und Beratungsstelle der Bundesregierung zur nachhaltigen Beschaffung eingerichtet, mit der Aufgabe, öffentliche Auftraggeber z.B. durch Beratungen, Schulungen, die Bereitstellung von Informationen oder die Durchführung von Veranstaltungen dabei zu unterstützen, Nachhaltigkeitskriterien und damit auch Menschenrechtskriterien in Vergabeverfahren zu berücksichtigen und die Umsetzung voranzubringen. Zielgruppe der KNB sind die öffentlichen Auftraggeber auf allen Ebenen: Bund, Länder und Kommunen, sowie sonstige Organisationen, die an vergaberechtliche Vorgaben gebunden sind. Die KNB arbeitet dabei eng mit weiteren Institutionen zusammen wie beispielsweise dem "Kompass Nachhaltigkeit". Dieses Informationsportal wurde im Auftrag des BMZ erstellt und unterstützt Beschaffungsverantwortliche in Unternehmen und Behörden praxisnah, bietet umfangreiche Informationen zur nachhaltigen Beschaffung und ermöglicht insbesondere die Identifikation geeigneter Siegel (Gütezeichen) als Nachweis der Einhaltung sozialer und umweltbezogener Anforderungen entlang der Wertschöpfungskette bestimmter Produktgruppen.
In einer gemeinsamen Initiative haben das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BeschA) mit der KNB und der Digitalverband Bitkom e.V. die Verpflichtungserklärung zur Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der öffentlichen IT-Beschaffung aktualisiert. Diese dient als Mustererklärung und kann gemeinsam mit der entsprechenden Handreichung von sämtlichen Beschaffungsstellen genutzt werden.
Zudem hat die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung eine Studie zum Thema „Sozial-Audits als Instrument zur Überprüfung von Arbeitsbedingungen – Diskussion und Empfehlungen im Kontext der öffentlichen Beschaffung“ veröffentlicht. Diese soll einen Beitrag dazu leisten, Grundlagenwissen zu vermitteln und konkrete Implementierungsansätze in der öffentlichen Beschaffung aufzuzeigen.
Die Vergaberechtsreform 2016
Mit der Vergaberechtsreform 2016, durch die drei neue EU-Vergaberichtlinien in deutsches Recht umgesetzt worden sind, wird die Einhaltung von Recht und Gesetz, insbesondere von Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht, im neuen Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sehr deutlich hervorgehoben (§§ 97 Abs. 3 und § 128 Abs. 1 GWB). Der aktuelle Rechtsrahmen ermöglicht den Vergabestellen, die öffentliche Auftragsvergabe stärker zur Unterstützung strategischer Ziele wie Sozialstandards, Umweltschutz oder Innovation zu nutzen.
Im NAP hat sich die Bundesregierung verpflichtet, zu prüfen, inwiefern in einer zukünftigen Überarbeitung verbindliche Mindestanforderungen im Bereich Menschenrechte im Vergaberecht festgeschrieben werden können, die von teilnehmenden Unternehmen die Einhaltung der Sorgfaltspflicht einfordert und einen entsprechenden Stufenplan zu erarbeiten. Sie wird einen Stufenplan erarbeiten, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Unter anderem dazu hat sie im März 2021 einen Gesetzesentwurf für ein Lieferkettensorgfaltspflicht (LkSPG) eingebracht, der im nachfolgenden parlamentarischen Verfahren von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde. Nach Inkrafttreten im Jahr 2023 soll damit auch sichergestellt werden, dass Unternehmen bei schweren Verstößen gegen die gesetzlich definierte Sorgfaltspflicht von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können. Zudem soll die Expertise der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung zu sozialen Standards (unter anderem ILO-Kernarbeitsnormen in Beschaffungsverfahren) und zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien genutzt werden, um im Rahmen von Schulungen die Kenntnisse von Beschaffern auszubauen.
Öffentliche Unternehmen
Im NAP werden Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form, an denen der Bund, Länder oder Kommunen unmittelbar die Mehrheitsbeteiligung besitzen, als "Unternehmen im öffentlichen Eigentum" bezeichnet. Unternehmen, die der staatlichen Kontrolle unterliegen, tragen den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zufolge eine besondere Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte. Der "Public Corporate Governance Kodex des Bundes" (PCGK Bund) enthält Empfehlungen zu guter Führung von Unternehmen, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist. Mehrere Bundesländer und Kommunen besitzen ebenfalls Kodizes für ihre Beteiligungen.
Schulungen und Berichtspflicht zu Menschenrechten ausweiten
Gemeinsam mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung ergänzt die Bundesregierung das Schulungsspektrum für die Mitarbeiter*innen des Bundes, die für die Beteiligungsführung zuständig sind, um Aspekte der Nachhaltigkeit und legt dabei ein Augenmerk auf die menschenrechtliche Verantwortung der Unternehmen des Bundes mit unmittelbarer Mehrheitsbeteiligung. Die Unterstützung der beteiligungsführenden Stellen durch das Schulungsprogramm des Bundes wurde im Zuge der Überarbeitung der Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes in den Richtlinien für eine aktive Beteiligungsführung bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung verankert. Bei den jährlichen Treffen der beteiligungsführenden Stellen des Bundes und der Länder werden die Länder angehalten, dieser Praxis des Bundes zu folgen. Darüber hinaus strebt die Bundesregierung an, dass mehr Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) anwenden. Dieser liefert einen Rahmen für die standardisierte Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Um den Kodex zu erfüllen, müssen Unternehmen eine Erklärung abgeben, wie sie 20 Kriterien sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit umsetzen. Im Beteiligungsbericht werden beginnend ab dem Wirtschaftsjahr 2018 alle international tätigen Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes und über 500 Beschäftigten, welche den DNK oder ein vergleichbares Rahmenwerk mit einer menschenrechtlichen Berichtspflicht anwenden oder nicht anwenden, im Kapitel Nachhaltigkeit gesondert ausgewiesen.
Garantieinstrumente der Außenwirtschaftsförderung
Deutschland unterstützt seine Unternehmen mit Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung zur Risikoabsicherung. Dazu gehören Exportkreditgarantien zur Absicherung von Exportgeschäften (sog. Hermesdeckungen), Bundesgarantien für Direktinvestitionen und ungebundene Finanzkredite zur Absicherung von Kreditausfallrisiken von Banken.
Für diese Instrumente der Außenwirtschaftsförderung sind die im NAP formulierten Handlungsaufträge durch eine Weiterentwicklung des Prüfverfahrens bereits im Juli 2017 umgesetzt worden. Im Rahmen einer dezidierten Prüfung der umweltbezogenen, sozialen und menschenrechtlichen Risiken (USM-Prüfung) aller Anträge werden menschenrechtliche Aspekte im Prüfverfahren jetzt noch stärker hervorgehoben und in der Aufbereitung der Mandatare für den zuständigen interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung sichtbar gemacht. Durch ein der eigentlichen Projektprüfung vorgelagertes Screening können projektspezifische menschenrechtliche Risiken frühzeitig identifiziert und vertiefend betrachtet werden.
Wie bereits bislang gilt, dass Projekte im Prüfverfahren anhand ihrer USM-Risiken kategorisiert und auf die Einhaltung internationaler Standards geprüft werden: Projekte der höchsten Kategorie A müssen darüber hinaus im Hinblick auf ihre USM-Aspekte und -Managementsysteme durch einen unabhängigen Gutachter auf Lücken zu den Referenzstandards von Weltbank und IFC untersucht werden, welche anschließend durch gezielte Aktions- oder Maßnahmenpläne geschlossen werden. Neu ist zudem, dass bei Projekten mit einem hohen Risiko schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen (z.B. im Kontext von Konfliktgebieten) nun zusätzlich auch die Vorlage eines dezidierten Gutachtens zur Bewertung menschenrechtlicher Auswirkungen (Human Rights Due Diligence/Human Rights Impact Assessment) gefordert werden kann.
Zusätzlich wurde das Informationsangebot zu menschenrechtlichen Aspekten seit 2017 in erheblichem Maße erweitert. So werden Interessenten bereits in der Anbahnungsphase umfassend über die Bedeutung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten informiert.
Die konstruktive Teilnahme eines Unternehmens an Beschwerdeverfahren vor der Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze wird bei der Gewährung von Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung berücksichtigt. Die Bundesregierung behält sich vor, einzelne Unternehmen, die sich nicht mit entsprechenden Vorwürfen auseinandersetzen, von den genannten Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung auszuschließen.