Brancheninitiativen und Kartellrecht: Passt das zusammen? Ja, das tut es. So lautet – in Kurzform – das Ergebnis eines Online-Seminars, das am 2. Juli 2025 von den Branchendialogen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ausgerichtet wurde unter Begleitung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE).
Moderiert vom Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte diskutierten Unternehmen und Stakeholder aus verschiedenen Initiativen mit Kartellrechtsexpertinnen über Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation.
In seiner Begrüßung betonte Dr. Carsten Stender, Abteilungsleiter im BMAS, die Bedeutung von Brancheninitiativen bei der Umsetzung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten.
Initiativen wie die vom BMAS geförderten Branchendialoge zahlen in zwei Richtungen ein. Auf der einen Seite erhöhen sie die Effektivität des Menschenrechtsschutzes, andererseits steigern sie die Effizienz auf der Unternehmensseite. So können etwa gemeinsame Risikoanalysen erstellt, kollektive Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergriffen oder Beschwerdemechanismen branchenweit aufgesetzt werden.
Zugleich wissen Dr. Carsten Stender sowie Referatsleiter Dr. Thorsten Käseberg im BMWE um die Unsicherheit, die kartellrechtliche Fragestellungen bei Unternehmen auslösen können. Dürfen wir uns als Konkurrenten überhaupt an einen Tisch setzen? Welche Informationen über Lieferantenbeziehungen können wir preisgeben? Sind gemeinsame Auditierungen möglich?
Mut zur Zusammenarbeit
Fragen wie diese wurden im Online-Seminar an das vielseitige Expertenpanel gestellt. Die rechtliche Perspektive brachten Dr. Anne Bußmann vom Bundeskartellamt und Dr. Tatjana Mühlbach von der Kanzlei BUNTSCHECK ein. Einig waren sie sich vor allem in einem Punkt: Aus Sorge vor dem Wettbewerbsrecht gar keine Kooperationen einzugehen, sei der falsche Weg. „Haben Sie nicht schon die rechtliche Schere im Kopf“, mahnte Mühlbach, die als Anwältin bereits unter anderem die Branchendialoge der Automobilindustrie und der Energiewirtschaft beraten hat.
Bestätigt wurden die rechtlichen Ausführungen durch die Erfahrungen der weiteren Panelteilnehmerinnen. Jasmina Brancazio (ZF Group), Anita Fribergh (E.ON SE) und Johanna Deckers von der Sustainable Agricultural Supply Chain Initiative (SASI) berichteten aus der Praxis verschiedener Initiativen, erläuterten Herausforderungen und zeigten Lösungswege auf.
Eine entscheidende Rolle komme häufig einer „Third Party“ zu, beispielsweise einer Geschäftsstelle, die Informationen einholt und anonymisiert aufbereitet. Die ZF Group, die an mehreren Initiativen beteiligt ist, habe mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht, sagte Jasmina Brancazio.
Die Automobilindustrie hat unglaublich intransparente und lange Lieferketten. Wenn wir hier etwas verändern wollen, dann funktioniert das nur über Brancheninitiativen und Multi-Stakeholder-Projekte. Nur so können wir Menschenrechte und Umweltthemen anpacken, ohne Preisabsprachen zu treffen, ohne genau zu teilen, welche Geschäftsbeziehungen existieren. Die jeweilige ‚Third Party‘, die für die Koordinierung solcher Projekte zuständig ist, stellt sicher, dass diese Informationen nicht zwischen den Wettbewerbern geteilt werden können und müssen.
Das Fazit der Veranstaltung war klar: Zwar ist das Kartellrecht ein Thema, das bei Kooperationen frühzeitig adressiert werden sollte – aber selten ein Hinderungsgrund, denn meist finden sich Möglichkeiten, die Zusammenarbeit kartellrechtskonform zu gestalten.
Hilfestellung für Unternehmen
Das Bundeskartellamt betonte, dass Unternehmen jeder Zeit mit konkreten Projektideen auf die Behörde zukommen können, um eine Ersteinschätzung zu erhalten. So lerne auch das Amt weiter aus der Praxis dazu.
Daneben bietet das Merkblatt des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hilfreiche Hinweise zu Nachhaltigkeitsinitiativen und Kartellrecht im Kontext des LkSG. Es verweist auf die relevanten rechtlichen Quellen – wie z. B. die Horizontal-Leitlinien der Europäischen Kommission, welche ein eigenes Kapitel zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen enthalten – und stellt Praxisbeispiele vor wie das der „Living Wages“-Bananen.
Merkblatt zu Brancheninitiativen im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.
Merkblatt zu Brancheninitiativen und Kartellrecht
Anna Mauer vom BAFA stellte die Kernpunkte des Merkblatts im Online-Seminar vor. Unstrittig sei beispielsweise, dass das Boykottverbot nicht greife, wenn Unternehmensvereinigungen Lieferanten ausschließen, die gegen international vereinbarte Menschenrechtsstandards verstoßen – solange diese präzise genug formuliert sind.