Um ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachzukommen, müssen sich Wirtschaftsunternehmen langfristig mit fünf Elementen befassen, die die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Kern ausmachen und ausführlich im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beschrieben und in das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) eingeflossen sind:
Verantwortung anerkennen
Zu Beginn steht die strategische Entscheidung der Unternehmensführung, Menschenrechte zu stärken. Unternehmen sollten durch eine Grundsatzerklärung öffentlich zum Ausdruck bringen, dass sie ihrer Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte nachkommen.
Die Grundsatzerklärung sollte von der Unternehmensleitung verabschiedet werden und auf für das Unternehmen und gegebenenfalls die Branche besonders relevante Menschenrechtsthemen eingehen. Sie sollte sich auf international gültige Menschenrechtsabkommen und -empfehlungen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Menschenrechtspakte (der UN-Zivilpakt und der UN-Sozialpakt) oder die ILO-Kernarbeitsnormen beziehen. Zum anderen sollte eine Grundsatzerklärung die Verfahren beschreiben, mit denen das jeweilige Unternehmen seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten umsetzt. Praktisch bedeutet dies, die Prozesse zur Ermittlung menschenrechtlicher Risiken und Auswirkungen sowie das Maßnahmenkonzept zur Prävention und Minderung nachteiliger Auswirkungen auf Menschenrechte darzulegen. Dazu können etwa vertragliche Verpflichtungen, Screenings und Audits von Lieferanten und Geschäftspartnern, Trainings und Capacity Building bei eigenen Beschäftigten und besonders risikobehafteten Lieferanten, die Berücksichtigung menschenrechtlicher Risiken bei strategischen Geschäftsentscheidungen und in der Produktentwicklung gehören.
Innerhalb des Unternehmens müssen personelle sowie abteilungsspezifische Verantwortlichkeiten frühzeitig geklärt werden. Schulungen der Beschäftigten in allen relevanten Geschäftsbereichen unterstützen die weitere Umsetzung der Sorgfaltspflicht. Dieser Prozess erfordert Zeit und setzt Lernprozesse in Gang – aus diesem Grund sollte auch die Grundsatzerklärung kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Risiken ermitteln
Wie lassen sich mögliche Menschenrechtsauswirkungen, insbesondere Verschlechterungen der menschenrechtlichen Situation, die Folgen der Unternehmenstätigkeit sind, ermitteln und frühzeitig verhindern? Die Antwort kann nur kontextbezogen sein und muss deshalb immer wieder neu gefunden werden. Grundsätzlich stellt sich die Frage nicht nur bei laufenden Geschäftstätigkeiten, sondern bereits bei der Anbahnung von neuen Aktivitäten.
Bei der Untersuchung möglicher Risiken muss unterschieden werden zwischen Auswirkungen:
- welche direkt vom Unternehmen verursacht werden,
- zu welchen das Unternehmen z.B. durch direkte Vertragsbeziehungen mit Lieferant*innen beiträgt, oder
- mit welchen das Unternehmen indirekt aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen, seiner Geschäftstätigkeit, seiner Produkte oder Dienstleistungen trotz fehlender direkter Vertragsbeziehungen, z.B. bei einer Vielzahl von Zwischenhändlern, verbunden ist.
Diese systematische Vorgehensweise bei der Ermittlung der wesentlichen Aspekte und Risiken stellt kein Novum dar und ist in etablierten Managementsystemen und -prozessen bereits verankert (zum Beispiel in Anhang I und Anhang II der europäischen EMAS-Verordnung (EG) Nr. 1221/2009, geändert durch die Verordnungen (EU) 2017/1505 und (EU) 2018/2026, über den freiwilligen betrieblichen Umweltschutz, der die unternehmensinterne Umweltprüfung/Bestandsaufnahme darstellt).
Die Größe des Unternehmens, die Branchenzugehörigkeit und die Art der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens beeinflussen das Risiko, zu Menschenrechtsverletzungen beizutragen und sind daher auch für die Tiefe und Breite der Risikoprüfung entscheidend. Sinnvoll ist eine mehrstufige Analyse, die erst potenzielle Risiken eruiert und diese dann vertiefend prüft. Ausgangspunkt der Risikoermittlung kann eine Übersicht über die wichtigsten Aktivitäten des Unternehmens, der existierenden Liefer- und Wertschöpfungsketten und Geschäftsbeziehungen sein. Eine erste Risikoanalyse des Unternehmens könnte nach Geschäftsfeldern, Produkten oder auch Standorten erfolgen. Anhand dieser Übersicht lassen sich mögliche Risikofelder identifizieren, die sich aus einem Abgleich mit den internationalen Menschenrechtsstandards ergeben, wie sie beispielsweise die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Menschenrechtspakte (der UN-Zivilpakt und der UN-Sozialpakt) oder die ILO-Kernarbeitsnormen festschreiben. Arbeiten in einem Sektor beispielsweise überwiegend Frauen, so ist besonderes Augenmerk auf die Regelungen zu Anti-Diskriminierung, Verbot und Prävention sexueller Belästigung sowie Mutterschutz zu legen. Kontextabhängige Faktoren eines Standorts wie die politischen Rahmenbedingungen, etwa fehlende Meinungsfreiheit oder Rechtsunsicherheit in einem Staat oder die Situation vulnerabler Personengruppen wie etwa der indigenen Bevölkerung sollten berücksichtigt werden. Dokumentenrecherche, Gespräche im eigenen Betrieb, in Tochterunternehmen, bei Geschäftspartnern und die Einbindung externen Fachwissens können dabei helfen, mögliche Risiken zu identifizieren und zu bewerten. Eine vertiefte Analyse ist insbesondere dann notwendig, wenn es viele potentiell Betroffene gibt oder die möglichen Folgen schwerwiegend oder nicht abschätzbar beziehungsweise unumkehrbar sind. Dazu sollten dann auch Gespräche mit potenziell Betroffenen vor Ort gehören. Es kann zudem nützlich sein, internes wie externes Fachwissen auf dem Gebiet der Menschenrechte einzubinden, etwa durch Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Nicht-Regierungsorganisationen oder Gewerkschaften.
Risiken minimieren
Sind die Risiken erkannt, gilt es, Präventions- und Gegenmaßnahmen zu ergreifen und in der Geschäftstätigkeit zu verankern. Die ergriffenen Maßnahmen sollten der Schwere der potenziellen und tatsächlichen Auswirkungen auf Menschenrechte angemessen begegnen.
In manchen Fällen helfen spezialisierte Schulungen bestimmter Beschäftigter im Unternehmen, in anderen Fallkonstellationen Schulungen von Zulieferern. Andere Probleme lassen sich lösen, indem Managementprozesse oder Lieferketten verändert werden, beispielsweise über reformierte Vergabeverfahren oder die Zusammenarbeit mit Zulieferern zur Verbesserung ihres Umgangs mit menschenrechtlichen Risiken. Wenn der Einflussbereich des Unternehmens begrenzt ist, oder Unterstützung bei der Umsetzung branchenspezifischer menschenrechtlicher Sorgfalt und entsprechender Berichterstattung gewünscht ist, kann der Zusammenschluss bzw. Beitritt zu einer Brancheninitiative nützlich sein, um Synergieeffekte zu schaffen. Wichtig ist, dass die Zuständigkeiten für die Maßnahmen zur Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltsplicht im Unternehmen klar verteilt sind und eine Wirksamkeitskontrolle stattfindet.
Informieren und berichten
Unternehmen sollten Informationen bereithalten und ggf. extern kommunizieren, um darzulegen, dass sie die tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte kennen und diesen in geeigneter Weise begegnen. Diese Informationen sollten in ihrer Form adressatengerecht sein. Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit ein besonders hohes Risiko negativer Auswirkungen birgt, sollten regelmäßig gegenüber der Öffentlichkeit darüber berichten. Für eine solche Berichterstattung können sowohl bestehende Berichtsformate des Unternehmens als auch ein eigenständiges menschenrechtsbezogenes Format genutzt werden. Dabei sollen die Berichtspflichten nicht zu unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand für die kleinen und mittleren Unternehmen in den Lieferketten oder berichtspflichtigen Gesellschaften führen.
Grundsätzlich birgt eine professionelle kontinuierliche Kommunikation viele Vorteile. Sie beugt Reputationsverlusten vor, spart Zeit und Geld und schafft langfristig Vertrauen - bei Kund*innen, Investor*innen, Geschäftspartner*innen genauso wie bei den eigenen Mitarbeiter*innen.
Beschwerden ermöglichen
Um tatsächliche oder potenziell nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte frühzeitig zu identifizieren, sollten Unternehmen selbst eigene Beschwerdemechanismen einführen oder sich aktiv an externen Verfahren beteiligen, beispielsweise auf Verbandsebene oder im Rahmen von Multi-Stakeholder-Initiativen. Um ein wirksames Beschwerdesystem zu verankern, sollte das Unternehmen bei der Gestaltung der Verfahren mit seinen Stakeholdern im Austausch stehen, also beispielsweise mit den Beschäftigten oder den Anwohnern. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Verfahren für die Betroffenen zugänglich, berechenbar, fair und transparent gestaltet sind sowie sich an international anerkannten Verfahrensgarantien orientieren. Die Beschwerdemechanismen können auch zu der internen Wirksamkeitskontrolle beitragen.
Mit diversen Unterstützungsangeboten begleitet die Bundesregierung Unternehmen bei der Umsetzung der Sorgfaltspflicht im eigenen Geschäft und entlang globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten. Darüber hinaus empfiehlt es sich für Unternehmen, bestimmte Elemente des Umsetzungsprozesses im Zusammenschluss auf Verbands- oder Branchenebene durchzuführen. Außerdem regt die Bundesregierung dazu an, auf die Expertise von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften zurückzugreifen.