Seit dem 1. Januar 2024 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeiter*innen. Damit sind auch Zulieferbetriebe der Automobilbranche betroffen. Bei der Suche nach Umsetzungstipps und Praxisbeispielen können sie – und andere Unternehmen – auf die Ergebnisse des Branchendialogs Automobilindustrie zurückgreifen.
Die Lieferketten der Automobilbranche sind häufig komplex und umfassen viele Sublieferanten. Das Einflussvermögen einzelner Unternehmen sowie die Wirksamkeit individueller Maßnahmen sind dadurch begrenzt. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Jahr 2020 den Branchendialog Automobilindustrie ins Leben gerufen.
Ziel des Dialogs ist es, in einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen Herausforderungen Ressourcen zu bündeln und gemeinsam auf Verbesserungen hinzuwirken. Automobilhersteller und Zulieferunternehmen, Wirtschaftsverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften, das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie weitere Initiativen sind an dem Multi-Stakeholder-Prozess beteiligt.
Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen mit konkretem Nutzwert
In den zurückliegenden Jahren haben die Mitglieder des Branchendialog Automobilindustrie einen intensiven Wissens- und Erfahrungsaustausch durchlaufen. Von den gemeinsam aufbereiteten Praxisbeispielen und Empfehlungen können auch Unternehmen anderer Branchen profitieren.
Eines der ersten Ergebnisse war die Veröffentlichung von Handlungsanleitungen für die fünf Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt (Grundsatzerklärung, Risikoanalyse, Maßnahmen und Wirksamkeitskontrolle, Berichterstattung, Beschwerdemechanismus), die inzwischen auch in der englischen Übersetzung vorliegen Die praxisorientierten Leitfäden adressieren die zentralen Herausforderungen, denen Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten begegnen. Sie wurden im Multi-Stakeholder Kreis entwickelt und von allen Mitgliedern im Konsens verabschiedet.
Am 27. September 2022 wurden im Rahmen einer Konferenz die Handlungsanleitungen des Branchendialogs Automobilindustrie präsentiert.
Pilotprojekte zu Rohstofflieferketten und Beschwerdemechanismus
Weitere Publikationen sind im Kontext der beiden Rohstoffpilotprojekte entstanden. Am Beispiel Kupfer haben die Mitglieder die Chancen und Grenzen von freiwilligen Nachhaltigkeitsstandards untersucht. Als Ergebnis ist ein Analyseraster zur Bewertung der Qualität und Eignung von Standardsystemen entstanden, sowie eine praxisorientierte Entscheidungshilfe, die Unternehmen für die angemessene Integration von Nachhaltigkeitszertifizierungen in den eigenen Sorgfaltspflichtenprozess sensibilisiert. In Bezug auf den Zukunftsrohstoff Lithium haben die Mitglieder Erwartungen an einen verantwortungsvollen Abbau [PDF, 756KB] formuliert und diese mit internationalen Stakeholdern gespiegelt. Die Qualitäts- und Handlungsempfehlungen liegen nun auch auf Englisch [PDF, 745KB] und Spanisch [PDF, 759KB] vor. Sie beschreiben Möglichkeiten für Unternehmen, die Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien durch Abbauunternehmen einzufordern und diese dabei zu unterstützen.
Die Qualitäts- und Handlungsempfehlungen zeigen, wie wertvoll Multi-Stakeholder-Prozesse sind. Sie sind nicht nur das Ergebnis konstruktiver Diskussionen mit wesentlichen Interessensgruppen, sondern helfen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Einkauf dabei, diese Perspektiven auf ganz praktische Art und Weise in ihrer Arbeit zu berücksichtigen.
Das dritte Pilotprojekt hat sich mit den Potenzialen eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus beschäftigt, um einerseits Ressourcen zu bündeln und andererseits einen effektiven Zugang für Betroffene sicherzustellen. Als Pilotregion hatten sich die Mitglieder auf Mexiko verständigt, da dort viele Unternehmen der deutschen Automobilindustrie vertreten sind und besondere menschenrechtliche Risiken identifiziert wurden. Der Mechanismus wird nun außerhalb des Branchendialogs in Zusammenarbeit mit mexikanischen Stakeholdern ausgerollt und vom BMAS wissenschaftlich begleitet. Es besteht weiterhin die Möglichkeit für Unternehmen, sich anzuschließen.
Erfahrungen werden branchenübergreifend geteilt
Die gesammelten Erfahrungswerte aus der Automobilindustrie stehen Unternehmen aller Branchen zur Verfügung. Gleichzeitig möchten auch die Autohersteller von anderen Industrien lernen. Mit diesem Ziel vor Augen luden das BMAS und der Branchendialog Automobilindustrie am 27. Juni 2023 zu einer branchenübergreifenden Fachveranstaltung zum Thema: „Lieferkettentransparenz in politisch sensiblen Kontexten“ ein.
Über einhundert Teilnehmer*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Politik kamen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie sich Transparenz in der tieferen Lieferkette herstellen lässt – insbesondere in Staaten, die Arbeits- und Sozialstandards nur unzureichend umsetzen oder sogar selbst systematisch Menschenrechte verletzen.
Die Ergebnisse und Erkenntnisse der Veranstaltung wurden hier veröffentlicht und werden in die weitere Arbeit des Branchendialogs Automobilindustrie einfließen.
Gesprächsrunde „Lieferkettentransparenz im Wettbewerb“ auf der branchenübergreifenden Fachveranstaltung am 27. Juni 2023 im Umweltforum in Berlin.
Im Fokus für 2024: Management der tieferen Lieferkette und Einbindung von Rechteinhabenden
Für 2024 haben sich die Mitglieder des Branchendialogs dazu bekannt, ambitionierte Maßnahmenpläne zu erarbeiten – auf individueller Unternehmensebene oder auch auf kollektiver Ebene. Dabei werden Sie sich an der Praxisanleitung für wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen [PDF, 1MB] orientieren, die im Rahmen des Branchendialogs durch einen Dienstleister entwickelt wurde.
Zwei Themen stehen im Mittelpunkt: Zum einen wird es um das Management der tieferen Lieferkette gehen. Wie lässt sich mehr Transparenz hinsichtlich mittelbarer Zulieferer und insbesondere im Rohstoffabbau herstellen? Zum anderen wird sich der Branchendialog dezidiert mit der Frage beschäftigen, wie Unternehmen die Interessen der Rechteinhaber*innen, also der Mitarbeiter*innen oder Anwohner*innen von Produktionsstätten und Abbauunternehmen sowie deren Vertreter*innen berücksichtigen können. Wie lassen sich diese Stakeholder besser einbinden und welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Akteur*innen und lokale Gemeinschaften vor Ort?
Diese und weitere Fragen gilt es zu beantworten und in konkrete Maßnahmen zu überführen. Der Branchendialog Automobilindustrie leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Denn in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt: Wer wirksame Maßnahmen umsetzen und eine spürbare Verbesserung der Menschenrechtslage erreichen will, muss den Schulterschluss mit allen relevanten Stakeholdern suchen.